Bewegtes aus dem Leben von Rhea Gilder Das Eintauchen in den fremden Kulturkreis des Orients bedeutete für Rhea Gilder mit ihren Worten das „Abenteuer pur“. Es war das Jahr 1963. Rhea war damals gerade zweiundzwanzig Jahre alt. Nach dem mehrsemestrigen Studium politischer und sozialer Wissenschaften sowie islamischer Kunst und Geschichte an der Universität Hamburg, einigen Vorlesungen an der Katholischen Universität (KU) in Leuven in Belgien in „sciences po“ und einer Volontärzeit bei einer Hamburger Tageszeitung bekam sie von der politischen Redaktion ihrer Zeitung den Auftrag als Berichterstatterin im Libanon tätig zu werden. Begeistert und unerschrocken machte sie sich sofort auf den Weg nach Beirut. Das Land, insbesondere das pulsierende Leben in Beirut, gefiel ihr auf Anhieb so gut, dass sie sich wenige Wochen nach ihrer Ankunft an der berühmten libanesischen Jesuitenuniversität St. Joseph in Beirut, einer „Schwester-universität“ der KU-Leuven, einschreiben ließ mit dem Berufsziel Journalistik. Mit dem Kennenlernen ihres späteren Ehemannes erfolgte schließlich ein tiefgreifender Bruch in ihrem Lebensszenario. Es hat mich immer fasziniert, wie sie es geschafft hat quasi von heute auf morgen die Zelte aus einem anscheinend glücklichen und erfolgreichen Leben in der westlichen Welt abzubrechen, um in eine vollkommen fremde Welt des Orients einzutauchen. Welcher Mut und welche Entschlossenheit müssen hierfür notwendig gewesen sein! Ihr arabischer Freund und späterer Ehemann war ein in Jerusalem gebürtiger Palästinenser, stammte aus einer reichen Jerusalemer Kaufmannsfamilie und gehörte der griechisch-orthodoxen Kirche an. Als sie ihn kennenlernte war er bereits libanesischer Staatsbürger und hatte sich im Libanon ein erfolgreiches Bauunternehmen aufgebaut. Die Ehe mit ihm bot ihr zweifellos einen gewissen Schutz in einer libanesischen Clangesellschaft, den sie als alleingestellte junge Ausländerin nicht gehabt hätte, wenn sie denn die Absicht gehabt hätte ihr Leben im Libanon zu verbringen. Allerdings war das Leben mit ihm im Libanon von Anfang an nicht einfach. Weniger wegen kultureller oder religiöser Differenzen zwischen ihr und ihrem Mann selber. Problematisch waren seine kulturell und religiöse Zugehörigkeit, die sie zu einer bevölkerungsmäßigen Minderheit im Libanon machten. Das bekam sie in Zeiten der Bürgerkriege im Libanon, die um ca 1975 begannen, mehr als deutlich zu spüren.
Aber zunächst verliefen die ersten Jahre ihres Lebens im Libanon noch weitgehend in Ruhe und traditionellen Bahnen. Ihr Mann war als erfolgreicher Bauunternehmer tätig, wodurch sie in einem gewissen Wohlstand lebten. Rhea bekam in kurzen Abständen drei Kinder, mit denen sie zunächst alle Hände voll zu tun hatte. Bald nahm sie allerdings freiberuflich eine Tätigkeit als Redakteurin für ein Wochenmagazin auf, betätigte sich ehrenamtlich in diversen Vereinen und gründete schließlich eine Vereinigung deutschsprachiger Frauen im Libanon.
Die religiösen Differenzen im Land mündeten schließlich in den zunehmenden Bürgerkriegsauseinandersetzungen, die gegenseitige Metzeleien, Morde, Plündern und Brandschatzen zur Folge hatten. Sie waren vor allem für religiöse Minderheiten, der ja Rheas Mann als gebürtiger Palästinenser im Libanon angehörte, bedrohlich, auch wenn er aus freien Stücken in den Libanon ausgewandert war und kein Muslime war. Der anfängliche palästinensische Widerstand auf libanesischem Boden gegen die Bedrohung durch das Militär ihres Gastlandes wurde im Jahr 1982 endgültig erstickt als etwa 150 libanesische Milizionäre die palästinensischen Flüchtlingslager im südlichen Stadtgebiet von Beirut stürmten und Hunderte bis Tausende von palästinensischen Flüchtlingen, meist Zivilisten, verstümmelten, vergewaltigten oder töteten (bekannt als Massaker von Sabra und Schatila). Wer sich auf eigene Faust in Sicherheit bringen wollte wurde oftmals Opfer einer zunehmend hasserfüllten libanesischen Bevölkerung. Rhea trat die Flucht mit ihrem Mann und den Kindern ins Ausland an als zum wiederholten Male ein Bombenhagel in verschiedenen Wohnvierteln begann und ein deutscher Nachbar vom Balkon geschossen wurde. Auf einem Frachtschiff gelang ihnen die Flucht aus dem nördlichen Tripoli hin zum saudischen Djiddah. Ihr Mann konnte dort bald Fuß fassen und siedelte sein Bauunternehmen zumindest vorübergehend dorthin um.
Eine kurze Pause in den Bürgerkriegswirren erschien Rheas Mann irrtümlich als Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen, so dass es ihn mit Familie zurück nach Beirut zog. Von da an begann für Rheas Familie eine fast jährliche Pendelei zwischen Beirut, Djiddah und Deutschland, die zeitweilig sogar die vorübergehende Unterbringung ihrer drei Kinder in einem Internat erforderte. Da sie ihre Kinder dort nur selten besuchen konnte, zeitweilig hatte sie sogar Hausverbot, da sie angeblich ihre Kinder zu sehr mit Geschenken verwöhnte, war das Leben für sie in dieser Zeit eine einzige Katastrophe.
Die folgende Bürgerkriegsperiode war insgesamt durch eine ganze Reihe dramatischer und unmittelbar lebensgefährlicher Situationen für sie und ihre Familie gekennzeichnet. Einem Beschuss durch Raketen entkam sie z.B. knapp durch Zufall. An jedem Checkpoint erwies sich der libanesische Pass ihres Mannes durch die Eintragung seines Geburtsortes Jerusalem von diskriminierender Wirkung.
1983 erschien schließlich Rhea eine zunächst als vorläufig geplante Rückkehr nach Deutschland in ihre Heimat unumgänglich. Damit begann für sie teilweise über Jahrzehnte hinaus ein vielseitiges Spektrum an journalistischen, politischen und ehrenamtlichen Aktivitäten. Um nur einige Tätigkeits-schwerpunkte zu nennen.
Sie heuerte bei verschiedenen Zeitungen sowie beim WDR als freie Mitarbeiterin an. Ihre freiberufliche Tätigkeit als Auslandskorrespondentin und Kriegsberichterstatterin brachte sie in viele interessante Länder des Orients und bescherte ihr zahlreiche Begegnungen mit prominenten arabischen Führern. In ihrer Heimatstadt erhielt sie den Auftrag ein Konzept für eine bessere Integration arabischer Asylbewerber zu entwickeln. Als eine auf fünf Jahre in ihrem Ruhrkreis gewählte Vertreterin einer europäischen Abgeordneten war sie vor allem im Bereich Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik und der Verhinderung von bewaffneten Konflikten tätig, die ihr u.a. auch mannigfaltige Gelegenheiten brachten, sich in die deutschen Friedensbemühungen im Nahen Osten einzubringen. Zum Abbruch ihrer politischen Karriere kam es Mitte bis Ende der neunziger Jahren durch die tragische Erkrankung ihres geliebten Mannes; den jahrelangen unermüdlichen Kampf dagegen verloren sie schließlich Mitte des Jahres 2000 endgültig.
In den Jahren danach ist besonders ihre ehrenamtliche Arbeit als Vorsitzende einer Menschenrechtsorganisation, der Internationalen Frauenförderation für Menschlichkeit und Frieden e.V., ihr politisches Engagement für diverse internationale Selbsthilfe-Nichtregierungsorganisationen u.a. mit dem Fokus auf die Verhinderung von Fluchtursachen sowie ihre journalistische und schriftstellerische Arbeit hervorzuheben.