Kurzgeschichte: Marthes Begegnungen mit Osama bin Laden
Meine Freundin Marthe hat mir einst von ihren zwei Begegnungen mit Osama bin Laden erzählt, zwei missglückte wie sie betonte. Ihr ging es, neugierig wie sie als Auslandskorrespondentin von Berufs wegen war, vor allem darum, etwas über die näheren Lebensumstände und Zielsetzungen von Osama bin Laden zu erfahren. Sie wusste, eigentlich gab es für VertreterInnen westlicher Länder, vor allem für Journalisten, und insbesondere für sie als Frau, keine Möglichkeit an bin Laden heranzukommen. Und schon gar nicht um ein Interview mit ihm zu führen.
Marthe war aber eine gewiefte Journalistin. Sie war es gewohnt sich den Zugang zu interessanten news mit diversen Tricksereien und markanten sog. „ journalistischen Aufhängern“ zu verschaffen. So kamen auch ihre Begegnungen mit Osama bin Laden zustande. Mehr. (Text danach verdeckt)
Die Anreise zu einem Treffpunkt in Kandahar in Afghanistan- mal per Geländewagen in vielstündiger Durchruckelei, mal per Maulesel, mal zu Fuß- war äußerst beschwerlich, wie sie sich erinnerte. In ihrem Beruf als Auslandsjournalistin war sie es allerdings gewohnt mühsame Anfahrtsstrecken zurückzulegen.
Marthe hatte sich in eine rein männliche afghanische Ärztegruppe eingeschmuggelt, die von bin Laden für seinen „Harem“ wie Marthe die Frauengruppe um Bin Laden spöttisch nannte, aus Deutschland eingeladen worden war. Es handelte sich um Afghanen, die sich als Ärzte in verschiedenen Städten Deutschlands , u.a. in Essen, Bochum, und Dortmund niedergelassen hatten, den Kontakt zu ihrem Heimatland aber nicht aufgegeben hatten. Marthe gab sich dabei selber als Ärztin aus. Sie meinte ihr Beruf als Auslandsjournalistin würde einen derartigen „ Etiketten-schwindel“, wie sie diesen Umstand freundlich umschrieb, gelegentlich rechtfertigen. Ihr Vorteil gegenüber den Männern der Ärztegruppe lag darin, dass sie als Frau die einzige Person sein würde, die direkten Kontakt zu den „Haremsfrauen“ aufnehmen durfte. Ihr journalistisches Interesse und das ihrer Auftraggeber galt zwar hauptsächlich der Person bin Ladens, aber auf die Lebensumstände von Frauen um bin Laden war sie durchaus auch neugierig.
Nach einem stundenlangen Fußmarsch waren sie an einer zerklüfteten Felswand angelangt an der in unterschiedlicher Höhe verschiedene Höhleneingänge zu erkennen waren. Aus einigen drang ein schwaches Licht zu ihnen herunter.
Wenig später wurden sie aufgefordert in eine dieser Höhlen einzutreten. Im Hintergrund der Höhle konnte sie zwei schwach erleuchtete Durchgänge erkennen. Durch einen dieser Durchgänge kam wenig später in einer leicht vornübergebeugten Haltung ihr Gastgeber bin Laden mit zwei weiteren Männern. Alle drei in Nomadenkleidung wie sie in biblischen Bildern zu sehen sind. In bedächtiger Langsamkeit kam er auf die Ärztegruppe zu ohne die Miene zu verziehen. Er verneigte sich leicht, sprach einige Willkommensformeln während er mit der Begrüßungsgestik der Beduinen die Hand an die Brust legte. Er wies ihnen doppelt aufgestapelte Matratzen als Sitzplatz zu. Davor standen zwei einfache Holztische, auf einem stand ein modernes Diktiergerät, wie sie erstaunt bemerkte.
Erwartungsvoll hatte sie ihn angelächelt, da sie ihm schon vor etlichen Jahren in der saudischen Stadt Djiddah kurz begegnet war. Seinerzeit wurde er von einer seiner zahlreichen Schwestern begleitet, die angeblich mit einem Deutschen verlobt war. Auch damals schon war sie zur Tarnung in die Rolle einer Ärztin geschlüpft und hatte sich einer Gruppe irakischer und afghanischer Ärzte angeschlossen, die in bin Ladens Guerilla Trainingslager in den afghanischen Bergen zur medizinischen Versorgung von Frauen eingeladen worden war. In welche Gefahr sie sich damals befunden hatte und jetzt erneut begab, schien ihr nicht wirklich bewusst zu sein oder wurde von ihr aus journalistischem Übereifer verdrängt. Wie leicht hätte ihre Tarnung auffliegen können, zumal ihre medizinischen Kenntnisse spärlich waren.
Jetzt viele Jahre später inmitten einer rein afghanischen Ärztegruppe traf sie nun bin Laden wieder, den sie trotz seines überlangen zotteligen, graumelierten Bartes sofort wiedererkannte. Er reagierte nicht auf ihr Lächern, sondern blickte sie mit einer vollkommen versteinerten Miene unter dem kappenähnlichen weißen Turban an. Offenbar konnte er sich überhaupt nicht mehr an sie erinnern. Zu ihrem Glück würde ich sagen. Womöglich wäre ansonsten ihr „Etikettenschwindel“ rasch aufgeflogen.
Er ließ stattdessen seinen aufmerksamen aber ansonsten ausdruckslosen Blick beinahe unmerklich über die Ärztegruppe hinwegstreifen bevor er sich in hagerer Würde mit gekreuzten Beinen niederließ. Dabei blickte er in milder Abgeklärtheit von einem zum anderen.
Offenbar auf seine Anweisung hin wurde Marthe wenig später aus der Männerrunde entfernt, denn zwei Frauen in tiefer Verschleierung winkten ihr aus dem zweiten Durchgang zu sich. Gegen ihren Willen landete Marthe nun im sog. „Harem“ von bin Laden. Dass sie an den Gesprächen mit Bin Laden nun nicht mehr teilnehmen konnte, war für sie natürlich eine herbe Enttäuschung. Immerhin war bin Laden für sie und ihre Auftraggeber journalistisch gesehen ein Knüller, unerreichbar vor allem für westliche Journalisten. Zu ihrem großen Bedauern bekam sie bin Laden während ihres gesamten Aufenthalts nicht mehr zu sehen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig als sich mit der Beobachtung der Lebensumstände der Frauen in seiner Umgebung zu begnügen.
Die Räumlichkeiten der Frauen waren spärlich mit nichts anderem als großen Ballen von Bettzeug ausgestattet , die am Tage als einzige Sitzgelegenheit dienten. In einer kleinen Küche befand sich lediglich ein Gasbrenner und ein großer Wasserbehälter. Abgetrennt durch einen Vorhang von der Küche gab es ein winziges arabisches Klo. Ein unsicher flackerndes Licht, das von einem Generator draußen erzeugt wurde, war kaum geeignet das trostlose Ambiente aufzuheitern. Marthe verbrachte in den Räumlichkeiten der Frauen einige Tage, ohne allzu viel über deren Verwandtschafts-beziehungen mit Bin Laden zu erfahren. Nur soviel:
Im sog. Harem lebten vier Frauen, drei junge Frauen und eine alte Afrikanerin aus dem Sudan. Letztere war etwas gesprächiger als die anderen. Sie erzählte, sie sei als kleines Mädchen von Sklavenhändlern aufgegriffen worden, in eine fremde Familie gebracht worden, die sie dann viele Jahre im Haushalt beschäftigt hatte. Später wurde sie an einen Pakistani verkauft und schließlich dem jüngsten Sohn ihrer Herrschaft, der sich Bin Laden angeschlossen hatte, mitgegeben. Er war jetzt der Ehemann des Jüngsten der drei Mädchen, die gerade erst 14 Jahre alt war. Ob die beiden anderen jungen Frauen Ehefrauen von Bin Laden waren konnte Marthe nicht in Erfahrung bringen. Die ganze Zeit während ihrer Anwesenheit trugen die jungen Frauen eine Burka, eine Tarnhülle mit abstrusem Gittereinsatz vor den Augen. Nur mit der alten Sudanesin konnte sich Marthe leidlich – sie hatte begrenzte arabische Sprachkenntnisse - verständigen. Diese ließ sie sogar ihre Burka ausprobieren. Hinter dem Stoffgitter sah Marthe alles nur farblos und schemenhaft.
Offenkundig litten die Frauen durch ihre Abgeschirmtheit, sei es durch die Burka oder das Leben in den Höhlen unter einem Vitamin- und Sauerstoffmangel, denn ihre bis zur Farblosigkeit blasse Haut fühlte sich erschreckend laff an.
Obwohl die Ärzte die Frauen nicht sehen durften, vermuteten sie angesichts von deren Lebensumständen einen großen Vitaminmangel und überbrachten ihnen (über Marthe) als erstes entsprechende Päckchen mit Vitaminpräparaten.
In den nächsten zwei Tagen übermittelte Marthe in der Rolle als Ärztin die Krankheitsangaben der verschleierten Frauen an die Ärzte, wobei die Sudanesin übersetzte und bei den Untersuchungen assistierte. Ihren Körper offenbarten die Frauen ohne jegliche Scham, nur das Gesicht blieb verschleiert. Offenbar verbanden sie ihre persönliche Identität nicht mit ihrer geschlechtlichen Körperlichkeit, sondern nur mit ihrem Gesicht, das Marthe, abgesehen von dem der älteren Sudanesin, während ihrer tagelangen Anwesenheit nicht zu sehen bekam. Marthe schrieb die Angaben auf Zettel. Die Ärzte entschieden dann welche Medikamente welcher Frau in welchen Dosierungen zukommen sollte. Marthe hatte aus einem Praktikum im Altersheim noch einige brauchbare medizinische Kenntnisse in Erinnerung behalten, so dass sie wenigstens die Krankheitsangaben der Frauen halbwegs gewissenhaft prüfen konnte und draußen an die „Kollegen“ weitergeben konnte. Die alte Sudanesin übersetzte bei den Konsultationen und assistierte bei den Untersuchungen. Alles lief glatt ohne nennenswerte Zwischenfälle ab. Allerdings wurde Marthe wie sie jedenfalls behauptete durchaus von schlechtem Gewissen den afghanischen Frauen gegenüber geplagt. Immerhin wurde den Frauen professionelle medizinische Hilfe vorenthalten.
Ganz wohl war ihr in ihrer Haut aber schon deshalb nicht, weil sie wusste, dass ihre Tarnung jeden Moment auffliegen konnte. Ein unbedachtes Wort oder ungeschicktes Verhalten hätten sie das Leben kosten können. Wie gefährlich bin Laden sein konnte hatte sie bereits den Berichten ihrer britischen Kollegen entnehmen können. Vermutlich hatte seine Gefährlichkeit im Laufe der Zeit eher noch zugenommen. Jetzt gab es angeblich geringfügigere Anlässe für ihn um Morddrohungen auszustoßen und in die Tat umzusetzen.
Auch in einem anderen Punkt war die politische Landschaft bei ihren beiden Begegnungen mit bin Laden grundverschieden. Bei ihrem ersten Treffen kämpfte Bin Laden, der sich mit den Worten von Marthe nun als „unerbittlicher Gotteskrieger eigener Prägung“ sah noch als Lieblingsguerillero der USA gegen die sowjetische Schutzmacht und ihre afghanische Vasallenregierung.
Dennoch war die Lage für Marthe äußerst brenzlich. Jedenfalls jagte es ihr doch einen gehörigen Schreck ein als sie auf der Rückreise von den mitreisenden Ärzten erfuhr, dass bin Laden tatsächlich ernsthaft bei ihnen angefragt hatte, ob man sie nicht mit einem seiner Leute zwangsverheiraten könnte, vermutlich um eine Ärztin dauerhaft in der Nähe zu haben. Zu ihrem Glück hatte die Ärztegruppe davon überzeugend abgeraten.
Wenngleich es für sie nicht möglich war noch einige Worte mit Bin Laden zu wechseln, geschweige denn an den Gesprächen der Ärztegruppe mit ihm teilzunehmen - er hielt es ( zu ihrem Glück wie ich meine) nicht mal für notwendig sich von ihr zu verabschieden, so hatte sie in den Tagen ihrer Anwesenheit in der Frauengruppe doch ausreichend Gelegenheit Denken und Verhalten der Frauen näher zu studieren.
Was sie besonders interessierte war die Frage, warum die Frauen im sog. Harem von Bin Laden offenbar so willig waren, das Tragen der Burka zu akzeptieren. Sinngemäß antwortete die alte Sudanesin darauf: “Alles hat immer etwas Gutes und etwas Schlechtes. Wer verborgen bleibt wird nicht beachtet und am Ende wohl auch nicht geachtet. Aber ohne Burka fühlen sich die Frauen hier schutzlos wie Schnecken ohne Schneckenhaus. Unter freiem Himmel ist sie ihnen ein Ersatz für die eigenen vier Wände, die sie seit ihrer Kindheit nur selten verlassen durften. Sie schützt gegen alles Fremde, dem sie ohne Burka ausgesetzt wären, vor allem gegen den Zugriff fremder Männer. Und ihre eigenen Männer macht es stolz eine Frau unter der Burka zu haben“.
So kann frau das also auch sehen.
Wie kann es sein, dass Frauen sich so schutzlos in der Welt um sie herum fühlen, dass sie sich total verhüllen müssen, vor allem gegenüber fremden Männern, aber auch gegenüber fremden Frauen. Wie kann es sein, dass Männer stolz sind, dass ihre Frauen sich mit einer Burka verhüllen? Fragen und Behauptungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Wie tief können Frauen kulturell bloß sinken!