Erstaunt registriert die westliche Welt seit einigen Jahren, mit welchem anscheinend ungebrochenen Mut und unerschütterlichem Kampfgeist viele Frauen aus dem Iran, vor allem aus der Provinz Kurdistan, sich gegen das derzeitige muslimische menschen- und frauenverachtende Regime zur Wehr setzen.
Dabei scheuen viele von ihnen weder das Risiko eines Gefängnisaufenthalts noch Körperverletzungen durch Sicherheitskräfte noch weitreichende Repressionen im Alltagsleben. Täglich leben sie in dem Bewusstsein, dass sie sich mit heimlichen oder offenen Aktionen nicht nur der Gefahr ständiger Beobachtung und Kontrolle durch staatliche Instanzen im Alltagsleben aussetzen, Geldbußen aufgelegt bekommen können oder inhaftiert werden, wobei ihnen Folterungen und Misshandlungen drohen können. Sie wissen auch, dass ihnen für kleinste Widerstandsaktionen wie Teilnahme an einer Demonstration oder Protestaktionen die Todesstrafe drohen kann.
Seit September 2022 gibt es im Iran anhaltende landesweite Proteste gegen die autoritäre Regierung und die repressiven Lebensbedingungen im Lande, unter denen vor allem Frauen zu leiden haben. Auslöser war der Tod von Jina Mahsa Amini durch Polizeigewalt was zu landesweiten Demonstrationen führte. Die kurdische Iranerin war wegen eines Verstoßes gegen die Kleiderordnung (verrutschtes Kopftuch) von der iranischen Sittenpolizei festgenommen und nach Misshandlungen im Gefängnis verstorben.
Die große Anteilnahme bis hin zu landesweiten Demonstrationen in der iranischen Bevölkerung (Frauen und Männer) am Tod einer Frau, die sich offen u.a. gegen die erlassene Kleiderordnung gewehrt hatte, stießen weltweit auf breite Beachtung. Besonders bemerkenswert ist dabei auch die große Solidarität mit den Widerstandskämpferinnen im Iran/oft aus der Provinz Kurdistan und generell den im Lande lebenden unterdrückten Frauen in weiten Teilen der iranischen Bevölkerung. Entweder ist Solidarität mit Widerstand leistenden Frauen tatsächlich sehr selten in der Welt oder es wird in der Weltpresse nicht allzu oft darüber berichtet.
Dagegen liegen über kurdisch-iranische Widerstandskämpferinnen bzw. Aktivistinnen, nicht zuletzt dank Amnesty international, zahlreiche Dokumentationen vor.
Um nur einige Beispiele zu nennen:
Die iranisch- kurdische Aktivistin Pakhshan Azizi:
Ihr droht im Iran die Hinrichtung, nachdem sie im Juli 2024 in Verbindung mit friedlichen humanitären und menschenrechtlichen Aktivitäten zum Tode verurteilt worden war. U.a. hatte sie vertriebenen Frauen und Kindern im Nordosten Syriens geholfen. Ihr Prozess entsprach nicht internationalen Standards. Ihre Folter- und Misshandlungsvorwürfe wurden nie untersucht. 1) Quelle: Amnesty International Deutschland e.V.
Die iranisch-kurdische Aktivistin Zeynab Jalalilan:
Sie verbüßt derzeit eine lebenslange Haftstrafe im Gefängnis von Kermanshah im Westen des Iran. Sie wurde im Jahr 2009 vor dem Revolutionsgericht von Kermanshah wegen „Feindschaft zu Gott" zum Tode verurteilt. Die Verurteilung steht mit ihrer mutmaßlichen Mitgliedschaft in der bewaffneten kurdischen Oppositionsgruppe „Partei für ein freies Leben in Kurdistan" in Zusammenhang. Zuvor hatte sie acht Monate lang in einer Hafteinrichtung des Geheimdienstministeriums in Untersuchungshaft gesessen. Ihren Angaben zufolge wurde sie während dieser Zeit gefoltert. In ihrem Gerichtsverfahren, das offenbar nur wenige Minuten dauerte, hatte sie keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Das Todesurteil gegen sie wurde im November 2011 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.2) Quelle: Amnesty international Deutschland e.V.
Narges Mohammadi, iranische Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin, Mitglied des iranischen Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte.
Sie wurde wiederholt verhaftet und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, u.a. erstmals 1998 wegen ihrer Kritik an der iranischen Regierung, im Jahr 2010 wegen ihrer Mitgliedschaft im DHRC, 2015 wegen Gründung einer illegalen Gruppe" für die Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe und wegen „Propaganda gegen das System" für Interviews mit internationalen Medien, 2024 erneut wegen „Propaganda gegen das System" , weil sie angeblich fälschlicherweise den sexuellen Missbrauch von Frauen in iranischen Gefängnissen angeprangert hätte. Das Spektrum ihrer politischen Aktivitäten ist breit gefächert. Es reicht von Protesten und Aktivitäten gegen das herrschende Regime wegen Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung ( u.a. wegen der Kleiderordnung für Frauen), über Sitzblockaden im Evin Gefängnis wegen der Tötung und Verhaftung von Demonstranten durch Sicherheitskräfte z.B. im November 2019, Veröffentlichungen von Videos zur Abschaffung der Todesstrafe bis hin zu Sitzblockaden und Hungerstreiks im Evin Gefängnis in Teheran, u.a. gegen den verwehrten Zugang zu medizinischer Versorgung und wegen sexuellen Missbrauchs von Frauen im Gefängnis.
Die iranische Menschenrechts-und Arbeitsrechtsaktivistin Sharifeh Mohammadi, Gegnerin der Todesstrafe:
Sie wurde im Juni 2024 von einem Revolutionsgericht in Rascht wegen angeblicher „bewaffneter Rebellion gegen den Staat" zum Tode verurteilt. Nach der Festnahme war sie in einer Haftanstalt des Geheimdienstministeriums in Sanandaj mit verbundenen Augen gefoltert und mißhandelt worden. Im August 2025 hat der Oberste Gerichtshof das politisch motivierte Todesurteil erneut bestätigt. Ihre Verurteilung basierte lediglich auf ihren friedlichen menschenrechtlichen Aktivitäten für Frauen und Arbeitnehmerinnen.
Aus dem Iran wurden speziell im letzten Jahrzehnt noch zahlreiche weitere Fälle von Verhaftungen und harten Bestrafungen - von Inhaftierung, Folterung bis hin zur Tötung - von Menschenrechtsaktivistinnen und Widerstandskämpferinnen gegen das herrschende Regime bekannt, die dank Amnesty international und den internationalen Medien weltweit für großes Aufsehen sorgten.
Auf einige von ihnen sei im folgenden noch kurz stellvertretend für viele hingewiesen:
Die Menschenrechtlerin Wrisha Moradi wurde 2023 zu einer hohen Haftstrafe verurteilt, u.a. weil sie gemeinsam mit Pakhshan Azizi gegen die Todesstrafe gekämpft hatte.
Die Menschnrechtsaktivistin Golrokh Ebrahhimi Iraee setzte sich vor ihrer Verhaftung im Jahr 2024 zusammen mit ihrem Ehemann Arash Sadeghi für die Menschenrechte ein, unter anderem für politische Gefangene und Meinungsfreiheit sowie gegen die Todesstrafe.
Amnesty International hat darüber hinaus dokumentiert, dass die iranischen Behörden routinemäßig Angehörige der kurdischen Minderheit willkürlich festnehmen und inhaftieren, nur weil sie tatsächlich oder angeblich kurdische oder kommunistische Parteien oder gewerkschaftliche Organisationen unterstützen oder ihnen nahestehen. Meist liegen keine ausreichenden Be-weise vor, für eine direkte oder indirekte Beteiligung an einer international als Straftat anerkannte Handlung.
Aber nicht alle Frauen, die sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen und /oder Widerstand gegen die Politik des islamischen Staates leisten, und sich dafür großen Gefahren und Beschwernissen im Alltagsleben aussetzen bis hin zum Risiko, ihr eigenes Leben zu verlieren, stehen so im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit wie die oben genannten Politikaktivistinnen. Es ist bekannt, dass es eine große Dunkelzimmer von Frauen gibt, die im Iran, vor allem auch in der Provinz Kurdistan, im Verborgenen Widerstand gegen die Politik des islamischen Staates leisten und sich aktiv für Menschen-und Frauenrechte einsetzen. Viele von ihnen engagieren sich politisch im Rahmen von politischen Parteien, z.B. kurdisch-kommunistischen Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen, die im Iran verboten sind. Dies geschieht zum großen Teil im Geheimen d.h. im Untergrund, um sich nicht großen Gefahren und Bestrafungen auszusetzen.
Eine von ihnen habe ich persönlich näher kennen und bewundern gelernt. Über sie möchte ich im folgenden berichten, sozusagen stellvertretend für das Schicksal vieler mutiger und kämpferischer Frauen, die im Iran leben oder gelebt haben, vor allem in der Provinz Kurdistan.
Aus der Sicht von Shabnam bedeutet ihr Name soviel wie „Der Tau liegt auf dem Gras" oder kurz Morgentau. Er stand für sie und ihre Mutter für Neuanfang, Aufbruch und gesellschaftliche Veränderungen. Diese Interpretation ihres Namens dürften für ihr Schicksal, ihre Ziele und Sehnsüchte nicht ohne Einfluss wenn nicht sogar wegweisend gewesen sein.
Shabnam, Jahrgang 1980, geboren im Iran in der Provinz Kurdistan. Sie war das jüngste von sieben Kindern, die ihre Mutter von ihrem 1. Ehemann, Shabnams leiblichem Vater, zur Welt gebracht hatte. Als sie zwei Jahre alt war starb ihr Vater, von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt und durch Schusswaffen hingerichtet wurde. Der Grund: Er war jahrzehntelang im
Untergrund für eine verbotene regimekritische Partei in der Provinz Kurdistan im Iran aktiv tätig gewesen, zunächst noch weitgehend unentdeckt, dann aber unter ständiger Beobachtung durch Sicherheitskräfte. Gerade um 1979 und in den Jahren danach war die regimekritische kommunistische Partei in eine Art Guerillakrieg gegen die iranische Regierung verwickelt, insbesondere während des kurdischen Aufstands von 1979 und des Iran-Irak-Krieges. Ihr Ziel war die sozialistische Revolution mit marxistisch-leninistischer Orientierung und die territoriale Unabhängigkeit Kurdistans vom Iran.
Der Vater von Shabnam war sich immer bewusst, dass er durch seine politischen Aktivitäten in großer Lebensgefahr schwebte. Er meinte es eigentlich nicht verantworten zu können (viele) Kinder in die Welt zu setzen, fand aber mit seinen Wünschen nach Schwangerschaftsverhütung in seinem familiären Umfeld keine Unterstützung. Fruchtbar zu sein und viele Kinder zu gebären war sowohl für seine Mutter und ihre Vorfahren als auch für seine Frau und ihre Verwandtschaft ein sehr hohes kulturelles Gut. Da war es dann durchaus vertretbar, wenn nicht sogar geboten, die Verhütungspillen, wo und wie immer ihr Vater an sie rangekommen sein mag, zum richtigen Zeitpunkt zu vergessen. Auch für Shabnam kein Grund zum Bedauern. Sie wäre sonst gar nicht auf der Welt.
Nach dem Tod ihres Mannes wurde Shabnams Mutter die Frau seines Bruders. Das entsprach den traditionellen kulturellen Regeln, Werten und Strukturen. Von ihm bekam sie in den darauf folgenden Jahren noch zwei weitere Kinder. Zum Zeitpunkt der Heirat mit ihrer Mutter war Shabnams Stiefvater bereits mit einer anderen Frau verheiratet, die ihm im Laufe ihrer Ehe drei Kinder gebar. Er war ein gut situierter Mann - dank einer relativ hohen beruflichen Position bei der Verkehrspolizei. Der Unterhalt der Grossfamilie war bis zur Verurteilung des Vaters von Shabnam mit keinen wirtschaftlichen Problemen für ihn verbunden. Das änderte sich mit der Hinrichtung von Shabnams Vater. Es hiess, dass ihr Stiefvater wegen seiner Verwandtschaft mit ihm einige Zeit später seinen gut bezahlten Arbeitsplatz bei der Verkehrspolizei, sozusagen aus Sippenhaftung, verloren hätte. Damit verschlechterten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie einschneidend, obwohl einige finanzielle Reserven u.a. aus Erbgut vorhanden waren.
Shabnam hatte sich mit ihrem Stiefvater nie gut verstanden. Obwohl sie ihren leiblichen Vater kaum selber richtig kennengelernt hatte - sie war erst zwei Jahre alt als er starb - hatte sie sich schon in jungen Jahren aus den Erzählungen
ihrer Mutter und ihrer Geschwister ein klares, festes Bild von ihm gemacht. Er war und blieb für sie ein Leben lang der große Held, der sie bedingungslos geliebt hatte. Ihre ständige Schwärmerei von ihrem verstorbenen Vater machte sie nicht bei allen Menschen in ihrer familiären Umgebung beliebt, schon gar nicht bei ihrem Stiefvater, dem sie immer unverhüllt zu erkennen gegeben hatte, dass er ihrem leiblichen Vater „nicht das Wasser reichen konnte". Mit ihrer lebhaften ehrlichen und direkten Art, Gefühle von Wut und Abneigung zum Ausdruck zu bringen, war sie ihrem Stiefvater nicht nur gleichgültig, sondern oft genug ein lästiges Ärgernis.
Er war aber genug mit seinen zahlreichen leiblichen Kindern beschäftigt, um sich von ihren Schwärmereien provozieren zu lassen.
Die Gedanken an ihren leiblichen Vater, der Glaube an ihn als großen Helden, gaben Shabnam den notwendigen Halt und Trost, um ein überwiegend freudloses Alltagsleben in ihrer Jugend durchzustehen.
Ihren Stiefvater mochte sie nicht, hasste ihn zeitweise sogar. Ihre Mutter war mit der Aufzucht und existentiellen Versorgung von acht weiteren Kindern so stark in Anspruch genommen, dass sie Shabnam als jüngstem Kind ihres verstorbenen Mannes, dem zwei weitere Kinder aus zweiter Ehe folgten - nicht die Fürsorge und Aufmerksamkeit schenken konnte, die diese zweifellos benötigt hätte.
Einen endgültigen Riss bekam die Beziehung zu ihrem Stiefvater als er sie mit Zustimmung des Bruders ihrer Mutter im Alter von vierzehn Jahren aus der Schule nahm. All ihr Betteln hatte nichts genützt. Immer wieder hatte sie ihn angefleht. Sie war eine gute Schülerin gewesen. Sie ging gerne zur Schule. Die Aussicht auf ein interessantes Leben und eine erfolgreiche berufliche und soziale Zukunft durch gute Schul- und möglicherweise Hochschulabschlüsse hatten ihr viele Jahre lang Kraft und Trost gegeben, um ihr weitgehend freudloses Alltagsleben täglich zu ertragen. Sie wusste ihre Familie war insgesamt wirtschaftlich gut gestellt. Es wäre für sie mit keinen großen finanziellen Belastungen verbunden gewesen, wenn ihr erlaubt worden wäre, eine weiterführende Schule zu besuchen. Aber die Entscheidung ihres Stiefvaters und ihres Onkels mütterlicherseits war hart und unerbittlich. Auch ihrer Mutter, die sich für sie einsetzte, gelang es nicht sie umstimmen. Aber es kam noch schlimmer für Shabnam. Wenige Monate nach Abschluss ihrer Volksschule - sie war immer noch erst vierzehn Jahre alt - wurde Shabnam von
ihrem Stiefvater mit dem Sohn einer Familie seines Freundeskreises zwangsverheiratet. Als sie erkannte, dass all ihr Flehen erfolglos sein würde verwandelte sich ihre Verzweiflung in kalte Wut und sie spuckte vor ihm aus, um ihm wenigstens ihre Verachtung entgegenzuschleudern. Auch dies blieb ohne jegliche Resonanz. Ihr Stiefvater fühlte sich vollkommen im Recht ihr gegenüber; er hatte seine Pflicht ihr gegenüber erfüllt, in dem er sie mit dem Sohn einer angesehenen Familie verheiratet hatte. Aus der Sicht vieler Familien eine glückliche Fügung für ein junges unverheiratetes Mädchen und für den Stiefvater eine Last weniger. Es gab für ihn also keinen Grund ihren Wünschen und Interessen mehr Gehör zu schenken, konnte er doch auf diese Weise möglichen Belastungen, Ärgernissen und Risiken, die mit einer ungeliebten Stieftochter aus seiner Sicht vorprogrammiert waren, geschickt aus dem Wege gehen. Was ihm in seinem sozialen Umfeld vermutlich noch Wohlwollen und Ansehen einbrachte, zumal er eine großzügige Mitgift für den Ehemann von Shabnam zur Verfügung stellte.
Shabnam blieb nichts anderes übrig als sich in ihr unvermeidliches Schicksal zu fügen. Mit ihrem Ehemann, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet wurde, verstand sie sich nach ihren Worten nie besonders. Im Alter von fünfzehn Jahren bekam sie ihr erstes und einziges Kind, einen Sohn. In den ersten Jahren nach seiner Geburt war sie denn auch voll und ganz mit Kinderbetreuung und Familienarbeit beschäftigt und so stark ans Haus gefesselt, dass sie kaum Zeit fand, sich über ihr unbefriedigendes Leben den Kopf zu zerbrechen oder sich Gedanken über alternative Auswege zu machen.
Als ihr Sohn fünf Jahre alt war nahm sich ihr Ehemann eine zweite Frau. Obwohl sie für ihren Ehemann während ihrer Ehe kaum Zuneigung empfunden hatte, empfand sie diesen Schritt als große gesellschaftliche Demütigung und Kränkung. Nach längeren inneren Kämpfen mit sich selbst fand sie die Kraft sich von ihrem Ehemann zu trennen und sich von ihm scheiden zu lassen. Dabei war sie sich immer der Tatsache bewusst, dass sie große wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken und Nachteile einging, wenn sie als alleinstehende Frau und Mutter ohne Beruf, Vermögen und familiären Beistand sich für ein Leben ohne Ehemann entscheiden würde. Es folgten harte Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann, der sich ihrem Wunsch, ihn mit ihrem gemeinsamen Sohn zu verlassen aufs schärfste widersetzte. Schließlich stimmte ihr Noch-Ehemann nach langen Kämpfen der Scheidung und der Übertragung des alleinigen Sorgerechts für ihren Sohn auf sie zu. Der Preis war hoch. Sie musste ihm ihre wertvolle Mitgift, die ihr Stiefvater bei der Heirat ausgezahlt hatte, ganz überlassen und auf jeglichen Unterhalt auch für ihren Sohn verzichten.
Das Leben nach Trennung und Scheidung von ihrem Ehemann war sehr hart. Ohne Beruf und gute Schulausbildung musste sie sich jahrelang mit einfachen Aushilfstätigkeiten für sich und ihren Sohn durchs Leben schlagen. Ohne einen Mann an ihrer Seite war sie immer wieder ein leichtes Opfer von sexistischen Übergriffen und von Gewalttaten gewesen.
Um nur ein Beispiel zu nennen.
Sie berichtete mir in einem Interview, dass ihr heimlich die Tränen über das Gesicht gelaufen seien, als sie vor kurzem an ein Vorstellungsgespräch in jener Zeit erinnert wurde. Sie sei damals von einer Firma eingeladen worden, die administrative Briefe auslieferte. Der Mann, der das Gespräch führte, verlangte eine männliche Bürgschaft von ihr. Als sie sagte, dass sie niemanden hätte, der für sie bürgen könnte, hätte sich sein Verhalten schlagartig geändert. Er hätte sich ihr mit offenkundig eindeutigen Absichten genähert. Als er die Wut in ihren Augen sah, hätte er die Tür seines Büros rasch abgeschlossen. Sie wäre daraufhin aus dem Fenster im ersten Stock gesprungen, wobei sie sich die Hand gebrochen hätte. Sie wagte nicht bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Auf Rückfragen sagte sie nur, es wäre ein Unfall gewesen. Um ein Krankenhaus aufzusuchen hatte sie nicht genügend Geld. Schließlich behandelte ein lokaler Chirurg ihre Verletzung gegen ein geringes Entgelt.
In jener Zeit waren die Kontakte zu Mitgliedern einer kommunistischen Partei ihr einziger Trost und Halt. Als Tochter eines Mannes, der für seine Aktivitäten und Kämpfe in dieser Partei sein Leben eingebüßt hatte und dafür als Held verehrt wurde, war auch sie in dieser Partei hoch willkommen.
Allerdings war im Jahr 2000 auf einem Parteikongress bereits eine grundlegende Erneuerung dieser Partei beschlossen worden. Es ging danach nicht mehr um einen Sturz der iranischen Regierung und eine sozialistische Revolution im Land, sondern unter Wahrung ihrer sozialistischen Werten vor allem um den Kampf für die Rechte von Kurden, für soziale Gerechtigkeit, für Demokratie, Menschenrechte und Frauenrechte. Als Shabnam den Kontakt zu dieser Partei aufnahm -etliche Jahre nach deren Neugründung bzw. Erneuerung im Jahre 2000 - galt diese im Iran dennoch als terroristische Vereinigung und war verboten. Bereits die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei war und ist bis heute verfolgungsrelevant. Immer wieder wurden und werden
Gefängnisstrafen teilweise auch Todesstrafen gegen angeblich militante und regimekritische Parteimitglieder verhängt.
Da Shabnams offizielle Mitgliedschaft in einer verbotenen kommunistischen Partei bei Bekanntwerden hart bestraft worden wäre, waren ihre Kontakte zu ihr heimlicher Natur. Immer wieder und immer häufiger traf sie sich schließlich mit anderen Parteimitgliedern und Parteisympathisanten an verschwiegenen Orten z.B. in den Bergen. Das war für sie umso wichtiger, als sie als Tochter eines prominenten Widerstandskämpfers immer Gefahr laufen musste, unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden zu stehen.
Die persönlichen oft freundschaftlichen Kontakte zu anderen (meist heimlichen) Parteimitgliedern bedeuteten ihr sehr viel, gerade auch angesichts ihrer sozialen Isolierung als alleinstehende Mutter. Aber auch die Diskussion über die Ziele der verbotenen Partei auf der Basis der marxistisch-leninistischer Lehre übten auf sie eine große Faszination aus. Der Gedanke der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft hin zu einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft, in der die Produktionsmittel nicht mehr im Besitz weniger sind, sondern der Allgemeinheit gehören, Klassenunterschiede aufgehoben sind und jeder nach seinen Fähigkeiten beiträgt und nach seinen Bedürfnissen erhält, erfüllten sie bis in die Gegenwart hinein mit großer Begeisterung und entsprachen bereits nach wenigen Diskussionen mit Parteimitgliedern an verschwiegenen Orten ihrer inneren Überzeugung. Das Ende der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen war darüber hinaus ein besonderes Anliegen von ihr.
Nach einer kurzen Phase der passiven Teilnahme an geheimen Treffen von Mitgliedern der kommunistischen Partei begann schließlich ihre aktive Phase der Mitarbeit im politischen Untergrund, die sich mit den Jahren immer mehr in ein starkes politisches Engagement ausweitete - verbunden mit großen lebensbedrohlichen Risiken.
Shabnam beteiligte sich zunächst zaghaft und mit großer Vorsicht am Verteilen von Flugblättern, die z.B. über die Grundsätze und Ideologien der kommunistischen Partei berichteten, an den Jahrestag der Gründung der Partei in Kurdistan/Iran erinnerten, über den sog. Studententag und den Internationalen Frauentag informierten und Aufklärungsarbeit leisteten, z.B. über die bevorstehende Hinrichtung politischer Gefangener.
Einige Zeit später stieg sie schließlich mit vollem Engagement in die Aktivitäten und Aktionen für die Partei ein bis hin zur Organisation von Veranstaltungen und Demonstrationen. Die Untergrundarbeit für ihre Partei war vom ersten Tag an für Shabnam - wie auch für alle anderen (heimlichen) Parteimitglieder - mit großen Risiken und Gefahren verbunden. Die Mitgliedschaft in der Partei war verboten und konnte, sobald die Sicherheitsbehörden in Kenntnis darüber gelangten, mit hohen Strafen verbunden sein. Folglich bedurfte es bei jeder Aktion um lange und gründliche Beratungen und Planungen. Jeder Fehler konnte mit schwerwiegenden Folgen verbunden sein.
Besonders gefährlich war die Festnahme eines Gruppenmitglieds, das an der Planung von Aktionen beteiligt war. Das konnte zur Enttarnung aller Gruppenmitglieder führen, da die festgenommenen Personen in der Regel den mittelalterlichen Foltermethoden der gnadenlosen Gefangenenwärter nicht standhalten konnten. Um die Risiken und Gefahren möglichst klein zu halten, teilten sie sich deshalb z.B. bei Protestveranstaltungen (z.B. aus Anlass der drohenden Hinrichtung politischer Gefangener) in Gruppen von zwei maximal drei Personen auf und blieben so für die Polizei relativ unauffällig in ihren Aktivitäten.
Der jeweilige Veranstaltungsort, festgelegt zunächst von einer kleinen Kerngruppe, wurde auf kleinen Zetteln geschrieben und nachts in die Höfe der Häuser geworfen. Bei den ebenfalls verbotenen Gedenkveranstaltungen z.B. anlässlich des Internationalen Frauentages wurde meist auf größere Demonstrationen verzichtet. Die Erklärungen der Organisation hierzu wurden aber in großer Zahl gedruckt und heimlich - meist auch nachts - in den Häusern verteilt. Dadurch konnten Menschen, die keinen Zugang zum Internet hatten, über internationale politische Ereignisse informiert werden.
Es kam wie zu erwarten. Die politischen Aktivitäten von Shabnam blieben von den Sicherheitskräften nicht lange unbemerkt, zumal sie wegen der politisch motivierten Hinrichtung ihres Vaters schon sehr frühzeitig in deren Visier stand.
Insgesamt wurde Shabnam dreimal wegen ihrer Aktivitäten für ihre verbotene Partei zu einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt, die sie überwiegend im Frauentrakt des Zentralgefängnisses der Hauptstadt Sanandaj der Provinz Kurdistan /Iran absitzen musste. Bei ihrer letzten Verurteilung hatte sie als politische Aktivistin am Internationalen Frauentag, dem 8. März, eine Demonstration für Frauenrechte angeführt.
Aus Sorge um ihr Leben stellte schließlich ein Verwandter mütterlicherseits eine hohe Kaution, wodurch Shabnam ihren Gefängnisaufenthalt vorzeitigbeenden konnte. Eine Perspektive für ein Leben in Freiheit war zu diesem Zeitpunkt für Shabnam im Iran nicht mehr erkennbar. Mit Hilfe und Unterstützung von Verwandten und anderen Parteimitgliedern gelang ihr schließlich mit ihrem Sohn die Flucht aus Kurdistan/Iran.